«Eigentlich weiss ich ja, dass ich mich nicht zu fürchten brauche.»
«Aber du spürst trotzdem Angst im Körper, oder?»
«Ja. Aber das ist doch total doof, nicht?»
Eine typische Unterhaltung, wie wir sie oft in meinem Coaching Studio in St.Gallen führen. Wir wissen im Kopf, dass wir uns nicht zu fürchten, zu ärgern, zu stressen, unsicher zu sein brauchen – und wir tun es trotzdem.
Intensive Angst, obwohl es keinen Grund (mehr) dafür gibt
Ich arbeite als polyvagal-informierte Coachin sehr oft mit Menschen, die in alltäglichen Situationen mit intensiven Gefühlen konfrontiert sind, die sie belasten. Nehmen wir Angst als Beispiel. Ich arbeite mit oft mit Menschen, die in vermeintlich ungefährlichen Situationen plötzlich riesige Angst empfinden. Diese Angst ist sehr körperlich und zeigt sich in einer schnellen Atmung, einem beklemmten Gefühl, manchmal auch in einem Ekel oder einem Impuls, zu flüchten. Meistens beschreiben die Menschen dieses Gefühl als nicht zur aktuellen Situation passend: Sprich, rational betrachtet, besteht gerade kein Grund für ein so intensives Gefühl der Angst.
Und trotzdem lässt sich der Körper vom Geist oft nicht davon überzeugen, dass die Situation gerade gar nicht so bedrohlich ist.
Wenn mentales Verstehen nicht ausreicht
Viele Menschen, die zu mir kommen, haben ihre belastenden Gefühle bereits in einer Therapie aufgearbeitet und ein gutes Verständnis davon, woher sie kommen. Wir dürfen auf jeden Fall verstehen, dass eine so intensive körperliche Reaktion mit einem alten Erlebnis verknüpft ist. Oft verstehen Menschen, die mit mir arbeiten, auf mentaler Ebene sehr genau, woher ihre Angst, Wut, ihre Blockade oder Trauer kommt.
Aber das mentale Verstehen allein kann die autonome körperliche Reaktion oft nicht verändern. Denn unser Nervensystem, das konstant seine Umwelt und unseren Körper nach Signalen für Gefahr oder Sicherheit scannt, entscheidet viel schneller als unser Kopf. Unser Nervensystem löst in einem Bruchteil von Sekunden eine teilweise sehr starke körperliche Reaktion auf einen Impuls aus und es dauert einen ganzen weiteren Moment, bis wir auf bewusster mentaler Ebene wahrnehmen, was gerade passiert ist.
Ein Beispiel aus meinem eigenen Erleben: Nach einem schweren Fahrrad-Unfall wurde mein Körper jedes Mal, wenn ich über holperige Strecken gefahren bin, von Angstgefühlen geflutet. Denn in dem Moment, als der Unfall passierte, habe ich unter dem Rad meines Fahrrades ein leichtes Rumpeln gespürt, eine Vibration. Das Gefühl dieser Vibration ist bis heute in meinem Körper gespeichert und wird von meinem Nervensystem mit einer Angstreaktion beantwortet.
Körperliche Erinnerungen mit körperlichem Vertrauen beantworten
Es sind oft winzige sensorische Impulse, die unser Nervensystem intensiv reagieren lassen: Ein Geruch, ein Gefühl auf der Haut, ein Gefühl in der Hand, das Gefühl einer Konsistenz am Boden, die Mimik eines anderen Menschen, ein Geräusch…
All diese Dinge begleiten oft Situationen, die für uns belastend waren und erinnern unser Nervensystem an diese Situationen. Auch, wenn sie nicht so viel mit einem aktuellen Erlebnis zu tun haben.
Dass unser Nervensystem auf diese feinen Impulse mit einem Kampf-Flucht- oder Freeze-Lähmungs-Muster reagiert, passiert lange, bevor unser Kopf weiss, dass die Situation eigentlich gerade nicht gefährlich ist. Und diese Reaktion lässt sich oft nicht mental übersteuern, im Gegenteil: Wenn wir uns selbst unter Druck setzen, dass unsere (körperliche) Reaktion gerade total doof, unnötig, nervig oder sogar falsch ist, wächst das Misstrauen in unseren eigenen Körper.
Dabei bräuchten wir gerade genau das Gegenteil: Vertrauen.
Ich arbeite mit Menschen daran, dass sie wieder mehr Vertrauen in sich selbst, ihre Gefühle, ihre Reaktion und ihren Körper gewinnen und verstehen, warum auch vermeintlich «falsche» Reaktionen einen Sinn haben. In der gemeinsamen Arbeit erforschen wir den Sinn dieser Reaktionen und arbeiten mit den körperlichen Hinweisen darauf, warum unser Nervensystem sich gerade nicht sicher fühlt.
Und wir schaffen mit Vagusnerv- und anderen somatischen Übungen, Imaginationen und regulierenden Übungen mit Squishy-Tieren und Fidgets dort mehr Sicherheit, wo unser Nervensystem basierend auf früheren Erfahrungen meldet «Gefahr!».