Die Neurozeption ist eine unbewusste Beurteilung unseres autonomen Nervensystems, die beeinflusst, wie wir auf die Welt reagieren und uns darin verhalten.
Inhalte dieses Beitrags:
- Definition
- Beispiele
- Wie entwickelt sich unsere Neurozeption?
- Beispiele, in denen wir uns fälschlicherweise unsicher fühlen
- Woher kommt der Begriff?
- Spannend: Jean-Jacques Rousseau & Neurozeption
- Und was hat das mit mir zu tun?
Definition
Unser vegetatives Nervensystem scannt und interpretiert konstant Informationen und beurteilt, ob wir gerade «sicher» oder «nicht sicher» sind. Für diese unbewusste Beurteilung sammelt das autonome Nervensystem Informationen aus unserer Umwelt, von unseren Mitmenschen (zum Beispiel die Mimik), aber auch aus unserem Körper-Inneren.
Die gesammelten Reize werden gemeinsam mit spezifischen Hirnbereichen verarbeitet. Das Ergebnis ist eine reflexartige, unwillkürliche Reaktion, die uns oft erst viel später bewusst wird.
Beispiele
Wenn unser autonomes Nervensystem eine Neurozeption von Bedrohung und damit Gefahr hat, werden sofort Massnahmen ausgelöst, die uns schützen sollen. Unser Herzschlag wird schneller, wir werden angespannt, sind vorsichtiger, fühlen uns irgenwie unwohl, wir atmen flacher, wir sind wachsamer, aber weniger konzentriert auf das, was wir gerade noch getan haben.
Diese Massnahmen werden uns nachfolgend durch Dinge, die wir fühlen, bewusst: Plötzlich bin ich so unruhig, plötzlich fühle ich mich unwohl, plötzlich fürchte ich mich, plötzlich ist mir so komisch, plötzlich möchte ich nur noch weg.
Wie entwickelt sich unsere Neurozeption?
Wie unser vegetatives Nervensystem Dinge interpreriert, ist teilweise evolutionär bedingt (gewisse Geräusche, Gerüche und Konsistenzen aktivieren uns). Ein grosser Teil der Beurteilung unseres Nervensystems ist aber erfahrungsbasiert und entwickelt sich, sobald wir zur Welt kommen.
Aufgrund von früheren Erfahrungen kann es sein, dass unser autonomes Nervensystem zu einer falschen Beurteilung kommt («faulty neuroception»). Es interpretiert gewisse Reize als gefährlich, obwohl sie es nicht (mehr!) sind. Dazu kommt, dass wir eine Neurozeption von Gefahr nachfolgend im Kopf interpretieren, was wiederum mit unseren Erfahrungen zu tun hat.
Beispiele, in denen wir uns fälschlicherweise unsicher fühlen:
Woher kommt der Begriff?
Die Neurozeption ist neben der Hierarchie und der Co-Regulation eines der Grundprinzipien der Polyvagal-Theorie. Der Begriff wurde von Dr. Stephen Porges begründet. Neben der Neurozeption beschäftigen wir uns in polyvagal-informiertem Coching auch mit
- Perzeption: Sinnliche Wahrnehmung ohne bewusstes Nachdenken
- Propriozeption: Wahrnehmung des Körpers im Raum, der Lage des Körpers
- Interozeption: Wahrnehmung von Informationen aus Körperabschnitten
Spannend: Jean-Jacques Rousseau & Neurozeption
Bereits der Philisoph und Gelehrte Jean-Jacques Rousseau berichtet von einem unbewussten körperlichen Prozess im Sinne der Sicherheit, der mich stark an das erinnert, was wir heute als Neurozeption verstehen.
«Es gibt eine physische und organische Reizbarkeit, die, rein passiv, nichts zum Zweck zu haben scheint als die Erhaltung unseres Körpers und die erhaltung unserer Art durch die Lenkungen, die Vergnügen und Schmerz uns geben» (zitiert aus Sensibel, über moderne Empfindlichkeit und die Grenze des Zumutbaren, Svenja Flasspöhler).
Und was hat das mit mir zu tun?
Reagierst du immer wieder angespannt in Situationen, die du eigentlich nicht als bedrohlich empfindest? Spürst du immer wieder Angst in Momenten, die eigentlich nichts mit dem zu tun haben, was wir einmal Angst gemacht hat?
Im polyvagal-informierten Coaching im heart space St.Gallen erarbeiten wir ein Verständnis für neurozeptive Beurteilungen und versuchen unser autonomes Nervensystem zu re-trainieren, damit es erkennt, dass keine Gefahr (mehr) besteht.