Als Interozeption wird die Fähigkeit bezeichnet, Signale aus dem Körper wahrzunehmen. Zusammen mit der Exterozeption hat sie einen Einfluss auf die Entscheidungen unseres autonomen Nervensystems.
In diesem Beitrag
- Was ist Interozeption?
- Interozeption und Gefühle
- Interozeption und Vagusnerv
- Interozeption und Neurozeption
- Interozeption und Stress
- Fazit
- Und was hat das mit mir zu tun?
Du hältst einen Vortrag und spürst, wie dein Herz klopft.
Du bekommst eine Nachricht und spürst, wie sich dein Magen zusammen zieht.
Du suchst nach einer Entscheidung und spürst, wie sich dein Darm verkrampft.
Du arbeitest fieberhaft an einer Aufgabe. Erst nach Stunden spürst du, dass du eigentlich dringend auf die Toilette musst.
Was ist Interozeption?
Die Fähigkeit, bewusst Dinge wahrzunehmen, die im eigenen Körper vorgehen, nennt sich Interozeption. Unsere Interozeption erlaubt uns, Informationen aus unserem Inneren wahrzunehmen. Dazu gehört auch, dass wir spüren, wenn wir Hunger bekommen, frische Luft brauchen oder zum Beispiel Harndrang haben. Damit ist Interozeption ein sehr grundlegender Prozess, ohne den wir nicht überleben könnten.
Interozeption und Gefühle
Wann warst du das letzte Mal plötzlich gereizt, bis du festgestellt hast, dass du eigentlich Hunger hast?
Forscher:innen gehen davon aus, dass unsere Gefühle entstehen, weil in unserem Körper etwas vor sich geht, was uns bewusst werden soll. Unsere Gefühle sind also Teil einer Reaktion.
Weiter konnte in diversen Studien (lies dazu hier mehr) festgestellt werden, dass unter anderem Menschen mit Ängste, Panikattacken, Depressionen, Essstörungen oder auch Menschen aus dem Autismus-Spektrum eine verringerte oder veränderte Interozeptions-Fähigkeit haben.
Die Interozeption kann trainiert werden, ist aber bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt.
Interozeption und Vagusnerv
80 / 20 ist eine wichtige Zahlenkombination in der polyvagal-informierten Arbeit: Und zwar gehen wir davon aus, dass 80 Prozent der Informationen über den Vagusnerv vom Körper nach oben an das Gehirn gesendet werden. Nur 20 Prozent der Informationen über den Vagusnerv laufen vom Gehirn an den Körper. Der Vagusnerv ist einer der wesentlichsten Teile des «interozeptiven Netzwerks», wie es Jessica Maguire in ihrem Buch «Das Vagusnerv Reset-Programm» nennt (hier der Buchtipp).
Der Vagusnerv ist also im Wesentlichen an der Innenschau beteiligt, die für uns so wichtig ist.
Interozeption und Neurozeption
Die Neurozeption hast du schon in einem anderen Blog-Beitrag (hier) kennen gelernt. Die Informationen, die aus dem Körper-Inneren kommen, werden zusammen mit Informationen, die unsere Sinne vom Aussen wahrnehmen (Exterozeption) kombiniert und sind für das autonome Nervensystem wichtig, um zu entscheiden, ob es gerade sicher oder bedroht ist (=Neurozeption).
Interozeption und Stress
Wenn wir unter Druck stehen, Stress empfinden oder viele Ängste empfinden, wechselt unser autonomes Nervensystem in einen Überlebensmodus: Es hat entschieden, dass wir bedroht sind.
In diesem Überlebensmodus haben wir nicht mehr Zugriff auf Gehirnregionen, die uns gute Entscheidungen und klares Denken ermöglichen. Wir reagieren impulsiv, übereilt und aus Ängsten heraus.
Jessica Maguire erklärt in ihrem Buch sehr detailliert, dass Interozeptions-Training uns dabei hilft, «unsere wichtigsten Hirnregionen online (zu halten), sodass wir die grossen Zusammenhänge nicht aus den Augen verlieren». Sie zitiert Studien, die zeigen, dass besonders erfolgreiche Sportler:innen, aber auch Elitesoldat:innen eine besonders gute Interozeption haben.
Fazit
Wenn wir uns «selbst» nicht mehr spüren können, ist das ein Hinweis darauf, dass wir gerade eher im Überlebensmodus laufen. Das bedeutet, dass wir ein wenig fremd-gesteuert sind. Denn in diesem Modus ist es wichtig, schnell zu reagieren, aber nicht wichtig, ob unsere Entscheidungen gut sind. In diesem Modus ist es wichtig, schnell anzugreifen, aber nicht, ob die angegriffene Person es wirklich nicht gut meint mit uns.
Die Interozeption zu trainieren unterstützt uns bei
- Uns gelassener zu fühlen
- Erlebnisse zu verarbeiten
- Dinge zu verstehen
- Unser Toleranzfenster zu vergrössern
- Bessere Entscheidungen zu treffen
- Weniger schnell über-reagieren
- Besser mit uns selbst in Kontakt zu sein
- Bessere Grenzen zu setzen
Was hat das mit mir zu tun?
In einem Einführungskurs für Polyvagal-Theorie hat mir Christoph Schwab beigebracht, meinen eigenen Puls am Handgelenk zu messen und zu beobachten, wie ich sofort ruhiger werde. Damals war mir noch nicht klar, wie genau das wirkt, nur, dass es wirkt.
Die eigenen Körpersignale wahrnehmen zu können, stimuliert unseren Vagusnerv und damit den parasympathischen Teil des autonomen Nervensystems. Es hilft uns dabei, klarer zu denken, uns besser abzugrenzen und weniger schnell auf Dinge zu reagieren. Und es hilft uns am Ende sogar dabei, Erlebnisse zu verarbeiten, die wir nur schwer in Worten ausdrücken können. Dazu aber ein andermal mehr.
Nachhaltige Nervensystem-Regulation involviert Interozeptions-Training. Meine Klient:innen trainieren in jeder Sitzung diese Fähigkeit und bekommen Übungen dazu für den Alltag.