Ist rationales Verhalten eine Illusion?

Verlauf_06

Wenn wir Angst haben, unter Druck sind oder wie gelähmt, verlieren wir den Zugriff auf den Bereich in unserem Gehirn, der uns reflektierte Entscheidungen erlaubt. Wir reagieren impulsiv und kopflos. Das wird gern als emotionale Reaktion verstanden. Dem gegenüber steht das rationale Denken. Nur, wie können wir unterscheiden, ob wir gerade wirklich reguliert und reflektiert entscheiden, oder wir das nur denken?

Inhalte dieses Beitrags:
  • Rational vs. emotional
  • Ein Beispiel
  • Das autonome Nervensystem entscheidet über einen Algorithmus, ob wir sicher sind.
  • Lernen, die eigenen Muster zu beeinflussen

Rational vs. emotional

Immer wieder begegnen mir Aussagen und Vergleiche, die «rational» und «emotional» gegenüberstellen, wobei ersteres oft bevorzugt wird. Wir wollen «rational» reagieren und uns nicht von unseren Emotionen leiten lassen. Nicht selten wird ein «emotionales Verhalten» sogar als unvernünftig kritisiert.

Rationales Verhalten bedeutet umgangssprachlich nichts anderes, als ein «von Vernunft bestimmtes, logisches, überlegtes Handeln». Dabei glauben wir, eine rationale Entscheidung sei wohlüberlegt, im schlauen Gehirn abgewogen und durchdacht.

Was wir dabei vergessen, ist, dass viele autonome Prozesse in unser Verhalten und unsere Entscheidungen einwirken. Diese autonomen Prozesse basieren auf unseren körpereigenen Algorithmen, die basierend auf früheren Erlebnissen und aktuellen Sinneseindrücken eine Situation unbewusst beurteilen und entsprechende Reaktionsmuster auslöst.

Ein Beispiel

Über die so genannte Neurozeption scannt unser autonomes Nervensystem konstant unsere Umwelt und entscheidet, wie es auf Reize reagiert. Sowohl die Mimik als auch die Stimmlage unseres Gegenübers sowie dessen Bewegungen und Haltung fliessen in die autonome Bewertung mit ein, ob wir einen Menschen als sicher empfinden oder nicht.

Nun wollen wir zum Beispiel «ganz rational» entscheiden, ob ein Mensch gut zu unserem Team passen würde. Wenn dieser Mensch aber aufgrund seiner Mimik, seines Verhaltens oder seinen Bewegungen bei unserem Nervensystem die Bewertung «nicht sicher» auslöst, kann es sein, dass wir trotz dem perfekten Lebenslauf dieser Person einen Grund finden, warum sie einfach nicht zu uns passt.

Ist das nun «rational»?

Das autonome Nervensystem entscheidet über einen Algorithmus, ob wir sicher sind

Wir vergessen, dass die künstliche Intelligenz, über die wir gerade überall sprechen, der menschlichen Funktionsweise nachempfunden ist. Der Mensch kann sich intelligent verhalten, weil er über seine Nervenzellen, die Neuronen, Sinneseindrücke zu Informationen verarbeiten und diese Informationen verknüpfen kann. Er lernt aus dem Erlebten, verknüpft Zusammenhänge und wendet das Erlernte auf neue Situationen an.

So funktionieren auch künstliche neuronale Netzwerke, mit denen «künstliche Intelligenz» dazu fähig ist, grosse Mengen von Daten zu sortieren, zu verknüpfen und daraus zu lernen.

Die Polyvagal-Theorie zeigt uns nun auf, dass unser autonomes Nervensystem basierend auf einem komplexen, automatisierten Algorithmus Entscheidungen trifft, die immer zum Ziel haben, unser Überleben zu sichern. Wenn wir nun also in einer aktuellen Situation sind, bewertet unser autonomes Nervensystem nicht nur diesen Moment; es verarbeitet die Situation basierend auf früheren Erfahrungen und löst entsprechende Schutzmassnahmen aus.

Das führt dann zu autonomen Reaktionen, die mitunter alles andere als «rational» sind.

Lernen, die eigenen Muster zu beeinflussen

«Ich weiss es ja eigentlich, aber…» ist ein häufiger Satz, den meine Klient:innen mitbringen. Sie haben oft lange versucht, ihre störenden Verhaltensweisen, Blockaden, Ängste oder «Laster» mental zu übersteuern. Aber obwohl sie es besser wüssten, gelingt es ihnen oft nicht.

Weil es eben keine Frage von rational vs. emotional ist.

Ein Buchtipp zum Thema: «Die Illusion der Vernunft», Philipp Sterzer

Hast du noch

Fragen?

Ich habe mich auf die alltägliche Anwendung der Polyvagal-Theorie spezialisiert. Ich arbeite im 1:1- und 1:2-Setting mit Privatpersonen, Paaren & Familien und berate Unternehmen.

Schreib mir gern, wenn du Fragen hast.

Freie Termine für kostenlose Kennenlerngespräche

WEITERE ARTIKEL